Fechten für die gute Sache. August Gemming als cleverer Markteer

Not macht erfinderisch. Der Humorist August Gemming, 1888 erneut knapp bei Kasse, versucht, mit seinen Werken Geld zu machen. Um den Absatz zu steigern, fällt er auf die Idee, diese im Bundling anzubieten. 5 Mark soll das Gesamtoeuvre kosten Darüber hinaus verspricht er, einen Teilerlös zu spenden:

Ein Theil des Betrags geht in die Cassa der Deutschen Reichsfechtschule.
G e m m i n g, Fechtmeister

Nachwort zu „Scherz und Ernst in Poesie und Prosa“, S. 64

Das Zitat für die Pro-Bono-Aktion findet sich gestürzt rechts im Bild

Beim Konsum nebenbei Gutes zu tun, zieht, seit es Konsum gibt. Gemming betreibt – neudeutsch gesprochen – Cause-related-Marketing. Allerdings lässt der findige Selbstvermarkter offen, wie hoch dieser Theil tatsächlich sein wird. Mit seinem Namen und dem beigestellten Titel, Fechtmeister, will er dafür einstehn. Klingt gut, an der wohltätigen Story ist jedoch einiges zweifelhaft.

Fechtmeister ohne Degen oder Florett

Es ist belegt, dass Gemming in sportlichen Disziplinen wie Turnen oder Fechten herausragendes Geschick besaß. Selbst kritische Vorgesetzte beim Militär geben zu: „Kein schlechter Soldat, in körperlichen Fertigkeiten gewandt, als Vorturner und Fechter ausgezeichnet.“ Anders als es klingt, war Gemming jedoch kein Fechtmeister in dem Sport, der mit Degen oder Florett zu tun hat.

Fechten hieß Betteln

Der Unterzeichner spielt mit einem heute vergessenen Doppelsinn des Wortes Fechten. Umgangssprachlich meinte es damals so viel wie Betteln oder für einen guten Zweck hausieren gehen.

Zwei Fechtbrüder treffen auf einen Fechtmeister
Karikatur von 1874 (c) Fliegende Blätter.

Dieser Doppelsinn ist die Grundlage einer Karikatur in den Fliegenden Blättern, für die Gemming auch selbst Beiträge lieferte. Es war ein von der Fechterschar selbst vergebener Titel: Je mehr Sach- oder Geldmittel die Spendensammler erzielten, desto höher stiegen sie im Rang unter den Mitgliedern. Die Erfolgsleiter kannte die Stufen Fechtschüler, Fechtmeister, Oberfechtmeister, Hauptfechtmeister, Bezirksfechtmeister, Verbandsfechtmeister, Fechtrath, Ehrenfechtmeister und Generalfechtmeister.

Viele Wenig machen ein Viel

Anfangs erzielten die Mitglieder, die ihre Community als Fechtschule bezeichnete, geringe Erlöse durch Brocken-Sammlungen. Sie erbettelten Unmengen an Zigaretten- oder Zigarrenstummeln, Champagnerkorken, Apfelsinenschalen, Staniol, entwertetem Geld oder alten Glacéhandschuhen, die sie durch Sortierung oder Upcycling (Seife, Tuchläppchen) weiterverkauften. Bald sammelte die Fechterschar auch Geld an der Tür – in einem Verfahren, das wir heute als Strukturvertrieb kennen. Jedes Mitglied hatte fixe Kontingente neuer Mitglieder zu werben, sprich Mitgliederkarten zu verkaufen. Gelang es, konnten die Fechtbrüder und -schwestern ihren Rang verbessern, gelang es nicht, fielen sie in eine rangniedrigere Kategorie zurück.

Klebemarke des Wohltätigkeitsvereins Deutsche Reichsfechtschule zugunsten von Waisenmädchen und -jungen.

Das Modell machte Schule, deutschlandweit gründeten sich aktive Netzwerke – auch in Bayern, unter anderem in Nürnberg / Schwabach und München. Am 5.10.1887 vermeldet der Vorstand stolz, dass der Verein das Körperschaftsrecht für das 3. Waisenhaus zu Schwabach von Seiner Königlichen Hoheit Prinz Luitpolt, des Königreichs Bayern Verweser“ erhalten hätten. Noch heute künden Gebäude und Straßenname davon.

Um noch mal Zahlen sprechen zu lassen: Die Sächsiche Fechtschule in Dresden, die allerdings aus dem Sparverein Fortuna hervorging, unterstützte wohl auch Hilfsbedürftige nach verheerenden Naturereignissen. 1885 zählte sie bereits 59 Verbände mit 36.000 Mitgliedern!

Bislang kein Mitglied namens August Gemming

Die Münchner Sektion erwies sich als besonders effizient. Eifrig veranstalteten diese Events wie kostenpflichtige Maskenbälle und Tanzabende, um für ihre gute Sache zu fechten. Die Mitgliederzahlen wuchsen rasch und wurden hier wie andernorts penibel verzeichnet. Ein Freiherr von Gemmingen in Potsdam wird erwähnt – ein August Gemming ließ sich bislang nicht ermitteln. Zwar wird auch ein Anonymus verzeichnet, es ist aber unwahrscheinlich, dass es sich hier um den klammen Dichtersoldaten handelt.

Vereinszeitschrift und Familienblatt: Deutsche Reichsfechtschule

Auch die Deutsche Reichsfechtschule gab es wirklich. Sie war das Organ des 1880 in Magdeburg gegründeten Wohltätigkeitsverein und erschien ab 1881 regelmäßig. Vornehmlicher Satzungszweck: die Errichtung und Unterhaltung von Waisenhäusern für Kinder zwischen sechs bis zwölf (ausnahmsweise 14) Jahren.

Eine Ausgabe der Mitgliederzeitung des Wohltätigkeitsvereins von 1909. In den Vignetten Waisenhäuser, die bereits durch Spenden realisiert wurden.

Hervorgegangen war dieses frühe Beispiel eines deutschlandweit erfolgreichen Wohltätigkeitsvereins aus einer Initiative des Redakteurs des Lahrer Hinkenden Boten, Oberingenieur Bürklin in Karlsruhe. Aufgrund seines Aufrufs von 1876, Spenden für einen guten Zweck einzutreiben, entstand das erste Reichswaisenhaus. Die Spenden kamen bedürftigen Kinder zugute. Natürlich waren damit erzieherische und national- wie reichspolitische Absichten verbunden. Die Kinder, anfangs nur Knaben, später auch Mädchen sollten „gesund, bildungsfähig und unverdorben“ sein. Es galt, die Kinder, denen durch Armut oder Waisentum ein Leben im Elend bevorstand, in ordentliche Berufe zu bringen, um im „Kampf ums Dasein“ zu bestehen. Die Mitglieder der Initiative entstammten selbst eher (klein-)bürgerlichem Kreisen. Entsprechend verbanden sich ihre Treffen mit bildenden Vorträgen rund um Geschichte, Sprache und Politik, was in der Vereinsschrift auch wieder abgedruckt wurde.

Daneben finden sich Fortsetzungsgeschichten, Erbauliches und Nutzwertiges zu Haus, Garten (Pflanzenläuse) etc. Vom Konzept stand das erste Massenorgan Die Gartenlaube (1853) Pate. Auch über interessante, erfolgreiche oder weniger zielführende Spendenaktionen wurde ausgiebig berichtet.

War August Gustl Gemming nun Fechtmeister oder nicht?

Der Kontext, in den Gemming seinen angeblichen Rang als Fechtmeister stellt, ist mit Metaphern der Verarmung und des Elends gekennzeichnet. Er macht Scherze über Wechselfieber (Febris intermittens) und Markleiden (morbus monetarum) und habe eine Ortsveränderung nach Lenggries dringend nötig – womöglich eine verklausulierte Formulierung für den Abstand sein, den er zwischen sich und seinen Schuldner sehen möchte.

Es ist nicht hundertprozentig ausgeschlossen, dass er sich als Mitglied der Fechterschar rekrutieren ließ. Zumal es eine Fundstelle gibt, die darauf hinweist, dass die Fechtschulen bewusst in ländliche Regionen vorstoßen wollen; Gemming weilte ja in Lenggries. Dennoch erscheint es merkwürdig, dass seine Aktion nirgends Erwähnung findet. Wenn es nicht stimmt, ist es allemal gut erflunkert.