Wau, Wau, Wow! Das Bayerische Nationalmuseum kommt auf den (KI-)Hund

Grazil, geschwungen, federnd tauscht das hochbeinige Windspiel auf und verschwindet sogleich. Wie eine filmische Auf- und Abblende verleiht das mondäne Tier der kurzen Erzählung “Gerechtigkeit” von Hugo von Hofmannsthal den Rahmen. Unmöglich, sich die moderne Parabel mit einem Dackel vorzustellen.

Für die ornamental-vegetative Ästhetik des Fin de sciècle waren Windhunde wie gemacht, kaum zufällig kamen die ursprünglich dem Adel vorbehaltenen Tiere erneut in Mode.

Von Hofmannsthal, sprachskeptischer Seismograph der Wiener Moderne, wusste also genau, was er tat, als er das ästhetizistisch blasse Jünglings-Ich mit der schweren ethischen Frage des Engels konfrontierte: „Bist du ein Gerechter?“ fragt dieser streng. Dem Flügelwesen beigesellt ist jener ätherisch anmutende namenlose Hund, der leichtfüßg um den Engel herumtänzelt.

Hofmannsthal war Zeitgenosse Thomas Manns, der seinerseits mit seiner „Idyll“ genannten Erzählung „Herr und Hund“ seinem Lieblingsvierbeiner Bauschan ein Denkmal setzte. Von hier aus beginnt die Austellung „Treue Freunde. Hunde und Menschen“ des Bayerischen Nationalmuseums (BMN) München. Noch bis zum 19. April 2020 können Zweibeiner ihren Rund-, pardon Spaziergang durch die Welt der Fiffis und Foufous, der Siegfrieds und Sir Henrys, der Attilas und Aibos starten. Ja, ganz recht, der Robo-Hund des Elektronik-Konzerns SONY ist auch darunter. Allerdings das Vorgängermodell, wir sind ja im Museum, nicht die neueste Generation. Die ist per WLAN mit der Cloud verbunden und wird mittels KI-Bilderkennung sämtliche Familienmitglieder unterscheiden lernen. Außerdem – Wachhund reloaded – kann Aibo Fotos von allem machen, was ihm seltsam vorkommt, falls er das Haus für verreiste Frauchen oder Herrchen hütet, vorausgesetzt, der Akku ist geladen. Denn natürlich braucht auch dieser Tamagochi-Seitenspross digitale Pflege. Bis er sich elegant wie ein, sagen wir Hofmannsthales Windspiel, bewegt, wird es allerings noch dauern. Immerhin – Beinchen heben kann er schon.

Der Hund in der Kunst

Hunde in Kunstwerken sind nie nur Beiwerk. Die Sonderausstellung im BMN zeigt das eindrucksvoll und abwechslungsreich. Zwölf interessant aufbereitete Kapitel erzählen die Annäherungsgeschichte von Mensch und Hund in formvollendeten Liebeserklärungen – als Gemälde, Plastik, Video, Werbeplakat, Holztafel, Votivgabe, Porzellanfigur, Terrakotte und mehr.

Das Tier (er-)trägt alles: Status, Freiheit, Anthropomorphisierung

Im Wandel der Zeiten verändert sich die Funktion, die der Hund erfüllt: Allmählich löst sich das Motiv von rein emblematisch-allegorischen Funktionen. Aus dem Wappentier („Tobias mit dem Hund“) und dem Sinnbild für (eheliche) Treue entwickelt sich über Variationen von Status- und Machtinsignien ein Sujet mit eigener Dynamik. Die Nähe, in der Zwei- und Vierbeiner seit zigtausend  Jahren leben, kommt dieser reichhaltigen Beziehung zupass. A la longue erzeugt sie einen Kosmos subtiler Be- und Anzüglichkeiten:

  • Menschen, die auf den (technischen) Spielzeughund kommen (Sony)
  • Hunde, die als bessere Menschen gelten (Loriot)
  • Hunde als Garanten für Machterhalt (Putin und Angela Merkel)
  • Hunde, die für (Leinen-)Freiheit stehen (Foto von Barack Obama und portugiesischem Wasserhund im Oval Office)

Ikonografische Tradition neu inszeniert

Dem Team aus Kuratoren und Kuratorinnen um Direktor Frank Matthias Kammel ging es darum, wesentliche ikonografische Traditionslinien zu dokumentieren. Zugleich war es gemeinsamer Anspruch, diese ungewohnt zu inszenieren.

So hält der dynastisch legitimierte Hochadel unverhofft Zwiesprache mit Gesinnungs-, Geld- oder Gangsta-Souveränen. Reichhaltig beschlagene Halsbänder von noblen Hunden treten plötzlich in Form-Dialoge mit den Hundehalsbändern von Punks oder Aktionskünstlerinnen. Wer will, kann subversive zeitdiagnostische Bezüge spinnen, etwa zwischen der Schwarz- und Rotwildjagd vergangener Parforce-Vergnügungen und der Null-Bock-Hatz auf bürgerliche Normen und Werte.

Diese gleichsam virtuellen, von den Betrachtenden selbst zu leistenden Knotenpunkte zeigen, wie moderne Museumsarbeit Depotschätze neu auflädt und in zeitgenössische Diskurse überführen kann.

Museen, die über exquisite Bestände verfügen, aber nicht immer ein Dernier-Cri-Portfolio anbieten können, sind auf kreative Zugänge angewiesen. Es gilt, jüngere Zielgruppen, sogenannte Digital Natives, aber auch bildungsfernstehende Gruppen für die eigenen Kunstwerke zu interessieren. Die gebildeten Stände sollen trotzdem nicht zu kurz kommen. Eine Gratwanderung und ein Experiment. Den Spagat zwischen der allseits geforderten digitalen ‚Snackability‘ von Inhalten und ihrer kompetenten, tiefgehenden Vermittlung, hat das Bayerische Nationalmuseum gelöst. Der begleitende Katalog macht mit lesenswerten Essays und Hintergrundmaterial Lust auf mehr. Die Ausstellung selbst hat mit modernen Designs Wege in die Inszenierung gewagt.

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Ich selbst habe am 7. Februar 2020 am Bloggerwalk teilgenommen. Dank an Dr. Kammel, Dr. Beuing, Dr. Hantschmann und Dr. Schuster-Fox vom BMN, Dr. Tanja Praske von KulturMuseumTalk und allen Bloggerinnen und Bloggern

Der Beitrag wurde am 09. Februar publiziert und am 19. Februar aktualisiert.

2 Gedanken zu „Wau, Wau, Wow! Das Bayerische Nationalmuseum kommt auf den (KI-)Hund

  1. Liebe Tanja, es war wie beim letzten Mal inhaltlich hochkarätig und exzellent vorbereitet. Da komme ich dann stets gerne. Danke dir dafür! Der Spagat zwischen Inhaltstiefe und niedrigschwelligem Konsumangebot bleibt eine Herausforderung für etablierte Institutionen. Da der KI Hund von @redaktion42 schon sehr fein bebloggt war, lag es für mich näher, in in der großen Schatztruhe der literarischen Hundedenkmälern zu stöbern. Und Hugo von Hofmannsthals Erzählungen sind allemal Re-Lektüren wert. Hätte ich mehr Zeit, schriebe ich noch gerne über weitere Vierbeiner.

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